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Bericht zum Styrkeproven 2010 von Roland Kramer
Geschrieben von Administrator   
Dienstag, 9. November 2010
Die norwegische Art – oder: Faszination des Radsportes bei der Styrkeproven (Trondheim-Oslo)

An dieser Stelle einmal KEIN klassischer Reisebericht, obwohl es mit umgeleiteten, verpassten und verspäteten Flügen genug Gelegenheiten für eine eigene Story gibt. Heute will ich euch anhand eines aktuell erlebten Rennens schildern, was Radsport für mich so faszinieren macht: die Kombination aus Leistung, Organisation und Teamarbeit - aber der Reihe nach:

Bei meinem dritten Start in Norwegen bin ich als Mitglied im Vitargo-Team Germany gemeldet, Zeitziel: 17.15 – 17.45 Std. Gesamtfahrzeit, also im Idealfall mit einem 31er Schnitt inklusive aller Stopps über 540 km / > 4.000 Hm von Trondheim nach Oslo.

Das Team Vitargo Germany besteht aus einer bunten Mischung von Radsportlern fast aller Altersklassen, mit und ohne Vereinszugehörigkeit, rennerfahren oder "Rooky" (Neuling), mit neuestem Carbon-Renner oder altbewährtem Alu-Rahmen – die meisten haben sich vorher nie gesehen und diese Truppe will / soll nun die Styrkeproven = Stärke-( Härte-) Prüfung absolvieren. Die Organisatoren des Teams haben sich dazu ein perfektes 4-Säulen-Konzept ausgedacht:

Säule 1: optimale Organisation
Säule 2: perfekte Rennstrategie
Säule 3: Kommunikation
Säule 4: Teamwork und Eigenverantwortung

In der Praxis sah das ganze dann so aus:

 

Säule 1 - Organisation:

Zwei Begleitfahrzeuge mit unterschiedlichen Aufgaben sind während des Rennens für die Radfahrer zuständig. Jeder Radler bekommt eine Kiste, die er selbständig mit allen Dingen packt, die er im Verlauf des Rennens eventuell braucht:

  • Kleidung für die verschiedenen Wetterzonen (es gilt, sich auf mögliche Temperaturunterschiede von durchaus  20 C und mehr einzurichten, ferner auch auf Regen, Wind und sonstige Wetter-Kapriolen)
  • Trinkflaschen mit vorbereiteten (evtl. unterschiedlichen) Getränken in ausreichender Zahl
  •  Verpflegungsbeutel die so gepackt werden, dass ich von Stopp zu Stopp (hierzu später mehr) je einen Beutel mit der Nahrung befülle, die ich für den nächsten Streckenabschnitt brauche

Ein Team transportiert die Kisten von Stopp zu Stopp und übernimmt bei Bedarf weitere Betreuungsaufgaben, schon dieser Punkt ist eine Herkulesaufgabe:

  • Der Bus muss sich durch den öffentlichen Straßenverkehr und vorbei an den vielen Radsportgruppen, die absoluten Vorrang genießen, von Stopp zu Stopp bewegen. Dabei kann es passieren, dass der Bus mangels Überholgelegenheiten Kilometer lang hinter einer Gruppe festsitzt. Trotzdem muss er:
  • möglichst rechtzeitig beim nächsten Stopp sein
  • die Kisten auspacken, in der richtigen Reihenfolge aufstellen, je nach Wetter öffnen und nachher alles wieder einpacken und ab zum nächsten Stopp. Alleine durch die Getränke ist jede Kiste mehrere Kilo schwer (in unserem Fall waren knapp 60 Kisten aufzustellen)
  • Vorort-Betreuung bei den Stopps – leere Flaschen nachfüllen aber auch Kettenöl bei Regen verteilen oder Hilfe bei kleineren Defekten bzw. Laufradtausch (siehe folgenden Punkt), Motivation der "Angeschlagenen" und das alles mit der Uhr im Nacken

Ein weiteres Team, das hinter der Gruppe herfährt und neben der Absicherung der Gruppe gegen den nachfolgenden Verkehr auch noch bei Defekten für Hilfe sorgt: Ersatzlaufräder bei platten Reifen in ausreichender Anzahl, ausgestattet mit den passenden Systemen an den Hinterrädern (Campa 10 und 11-fach, Shimano und Sram), schneller Wechsel des Ersatz-Laufrades bei Defekt, Rückwechsel des reparierten Reifen/Rades beim nächsten Stopp, wichtige Streckeninfos und und und (alleine das für ein Auto langsame fahren ist anstrengend ohne Ende und steht der Leistung der Radfahrer in nichts nach).

Dazu umfangreiche Detailplanung vor Rennbeginn: 
  • Zusammenstellung der Bus-Teams, Bestimmung Kapitän und Frontfahrer
  • Organisation der Ersatzlaufräder und aller sonstigen benötigten Ersatzteile
  • Geeigneten Stellen für die Stopps suchen (~60 Kisten in zweier Reihe mit ausreichend Zwischenraum in Länge und Breite benötigen einiges an Platz) und ggf. suche nach alternativen Standorten, falls der geplante Stopp nicht nutzbar ist
  • Erstellen der Zeitpläne für die gesamte Renndistanz, abhängig von der Topographie jeweils für die Rennrad- und die Bus-Fahrer.
  • Regeln aufstellen für besondere Situationen im Rennen (Stopp-Strategie, Panne, Unfall, "Pinkeln" …)
  • Dazu noch unzählige weitere Punkte, die an dieser Stelle gar nicht alle erwähnt werden können.

Darauf aufbauend wurde eine höchst effektive Rennstrategie entwickelt:

 

Säule 2 – Rennstrategie:

Kern der Strategie ist eine möglichst effiziente Fahrweise um mit dem geringst möglichen Kraftaufwand das Zeitziel zu erreichen und zwar so, dass das Team möglichst lange in der gestarteten Größe zusammenbleibt und die offiziell vom Veranstalter angebotenen Versorgungsstellen nicht benötigt werden.

  • Dazu wird die Gruppe aufgeteilt: vorne eine Gruppe von Frontfahrern, die das Tempo für den jeweiligen Streckenabschnitt machen. Diese Gruppe fährt autark in Zweier-Reihe vor dem Rest des Feldes und kreiselt oder wechselt situationsabhängig unter sich.
  • Dahinter fährt das restliche Feld Kraft sparend im Windschatten. Die Fahrer der hinteren Gruppe lösen bei Bedarf die Frontfahrer ab, damit auch diese längere Erholungsphasen wahrnehmen können.
  • Der Teamkapitän leitet das Rennen, gibt bei Bedarf Anweisungen und sorgt dafür, dass alles passt. Selbstredend muss das ein starker Fahrer sein: starke Persönlichkeit, um sich in allen Situationen durchzusetzen und physisch stark, um jederzeit - wenn nötig - das Feld abfahren zu können.
  • Ferner "Beobachter" im Feld und am Ende des Feldes um abhängig vom Renngeschehen reagieren und/oder informieren zu können.
  • Gefahren wird in der NORWEGISCHEN ART: gleichmäßige Wattzahl über die gesamte Strecke!
  • Immer gleichmäßige Wattzahlen in der Ebene, bergauf und bergab statt "drücken" bergauf und "Beine hängen lassen" bergab sind hier das Erfolgsrezept. Auch wenn bei diesem Fahrstil hinten nach einer Bergabpassage schon mal gebremst werden muss: Da es auch bergab mit dem gleichen Druck weitergeht, erzielt man ein hohes Durchschnittstempo, ohne dass sich vor allem die nicht ganz so starken Fahrer an den Anstiegen verausgaben.
  • Dazu selbstverständlich kompakte Fahrweise: Schulter an Schulter und Rad an Rad – bergauf, in der Ebene und bergab, auch bei Wind und Regen! Diese Fahrweise ist gewöhnungsbedürftig aber bei richtiger Anwendung absolut Erfolg versprechend.
  • Höchst disziplinierte Frontfahrer: in allen Situationen auf die richtige Wattzahl achten, vor allem bergauf – gar nicht so einfach, wenn es gerade gut läuft …
  • Kurze aber effektive Stopps von ca. 2 Minuten, in dieser Zeit sind die vorbereiteten Flaschen zu wechseln, das Essen für die nächste "Etappe" einzupacken, evtl. Kleidung zu wechseln, ggf. Radservice (siehe oben) und "pinkeln" (ansonsten muss man das während der Fahrt machen und dann kraftraubend wieder an die Gruppe ran fahren – gewartet wird für so was nicht!!! Allerdings hat man sich zum pinkeln verabredet: in einer Gruppe fiel das ran fahren dann viel leichter)
  • Die Teambusse bleiben so lange es geht am Stopp-Punkt, um eventuell heraus gefallenen Fahrern noch Zugang zu ihren Kisten zu gewähren aber noch rechtzeitig am nächsten Stopp anzukommen
  • Bei Defekten warten zusätzlich 2 – 3 starke Fahrer, um den "Havaristen" wieder an das Feld zu führen, das mit nahezu unverändertem Tempo weiterfährt

Wie setzte man nun diese Strategie in die Praxis um?

 

Säule 3 – Kommunikation:

Alle erforderlichen Infos werden zum jeweiligen Zeitpunkt in Adressaten – gerechter Form weitergeleitet. Nicht alles auf einmal, nicht zu früh und nicht zu spät und so, dass es jeder versteht: das ist schwieriger, als es sich anhört. Eine Teambesprechung 1 Tag vor Rennbeginn rundet das ganze ab.

Während des Rennen ständige Kommunikation im Feld: hier wird nicht nur auf "Fehler" in netter Form hingewiesen (fahr die Lücke zu du D...) sondern bei Schwächephasen anderer motiviert, Hilfestellung gegeben und natürlich auch gegen eventuelle Langeweile oder Müdigkeitsphasen einfach nur unterhalten.

Ergänzt wird das ganze durch eine Funkverbindung zwischen Begleitfahrzeug und Team-Kapitän.

 

Säule 4 – Teamwork und Eigenverantwortung:

Säulen 1 – 3 bringen letztlich nur den gewünschten Erfolg, wenn jeder sich seiner Verantwortung stellt und das Team über die eigenen Interessen stellt. Für Egoisten, die gerne mal den anderen zeigen, wie stark sie am Berg sind ist ebenso wenig Platz wie für die "Schnarchnasen", die immer wieder Lücken reißen lassen, weil sie nicht konzentriert in der Gruppe fahren oder die "Pendler", die keine 2er – Reihe sauber fahren können. Gefahren wird miteinander, nicht gegeneinander - gegenseitige Hilfe ist oberstes Gebot, schließlich könnte man ja auch selber zum Hilfsbedürftigen werden.

Wesentlicher Bestandteil von Teamwork und Eigenverantwortung ist eine seriöse Vorbereitung! Dazu gehört neben dem Kraft- und Ausdauertraining auch das technische Training wie Gruppen fahren, abbiegen und bremsen, Kreisverkehr und Lücken richtig zu fahren und Bremsgriffhaltung während des Rennens aber auch die richtige Ernährung. Information ist nicht nur eine Bring- sondern auch eine Hol-Schuld!!

So vorbereitet hatte ich in Norwegen mein beeindruckendstes Teamerlebnis bisher. Von den knapp 60 gestarteten Fahrern sind weit über 40 zeitgleich ins Ziel gekommen, keiner musste aufgeben – und das, obwohl sich viele vorher noch nie gesehen hatten. Auch wenn nicht immer alles zu 100% geklappt hat: die perfekte Organisation, Rennstrategie und Topp-Fahrer ermöglichten vielen anderen eine Zeit, die sie unter anderen Bedingungen wahrscheinlich nicht erreicht hätten. Dies äußerte sich dann auch in der sehr emotionalen Zieleinfahrt: viele jubelnde, hochzufriedene Fahrer, Sekt unseres Jubilars (10. Styrkeproven), das obligatorische Hefeweizen MIT und abklatschen / Umarmungen ließen die vorangegangenen Anstrengungen schnell vergessen und es dauerte noch eine ganze Weile, bis auch der letzte sich etwas Ruhe und Schlaf gönnte.

Manch einer wird jetzt sagen: klar, in so einer Gruppe ist das doch ein Kinderspiel. Nun, wer so denkt, soll es einmal selbst versuchen: 17 Stunden, 14 Minuten und 31 Sekunden sind genug Zeit um festzustellen, dass auch der stärkste Fahrer mal eine Schwächephase bekommen kann, Egoisten im Team schnell raus fallen und 540 km ganz schön lang sind und Kraft und Energie kosten, die man erst einmal aufbringen muss.

Bei mir waren das ca. 81.700 Kurbelumdrehungen, 124.000 Herzschläge, knapp 9.000 Kcal Energie, 6,5 l verschiedene Sportgetränke, 12 verschiedene Sportriegel, 9 Gels, 4 Bananen, 30 gr. Chips, ein Stück Überraschungspizza, die die Busfahrer, wo und wie auch immer – noch organisiert hatten sowie viele tolle Bekanntschaften, interessante Gespräche und die grandiose norwegische Landschaft – eben die NORWEGISCHE ART.

Roland

 
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